mittags

Heute saß ich in der Mittagspause mit einer Kollegin im Kaffee, die gerade krankgeschrieben ist. Seit ein paar Monaten. Die Psyche, die Arbeit, ein Hausbau und dann ein schwerer Unfall haben einen großen Schatten über ihr Leben geworfen. Wir reden über die Arbeit, wie es unseren Familien geht über Hobbies. Sie kennt mich als ehrgeizigen Sportler und lässt immer wieder fallen wie verrückt es sei, dass ich 63 km um und über Berge laufe. Sie fragt mich was es bei mir neues gibt und dann stutze ich kurz. In den letzten drei Monaten hat mich viel bewegt, ich habe viel geändert, bin viel Ballast losgeworden. Und stecke immer noch in einem Prozess. Doch dann sage ich das erste Mal ohne mich dabei komisch zu fühlen „Ich bin Minimalist!“. Sie schaut mich verdutzt an und ich fange an einen mehrminutigen Monolog zu starten. Wer meine Podcasts kennt weiß, dass ich durchaus mal eine halbe Stunde über ein Thema schwadronieren kann. Ich möchte ihr eigentlich lieber ein Buch oder einen Blog empfehlen, doch ich weiß sie mag es nicht auf Englisch zu lesen. Deutsch Minimalismus-Blogs finde ich für den Einstieg alle nicht so gut. So versuche ich das was ich die letzten Wochen über Minimalismus gelernt habe, was ich für mich angenommen habe, mit meinen eigenen Worten zu schildern. Sie nickt, sie hört zu, sie stellt mir Fragen.

 

 

Was ist Minimalismus?

 

 

Minimalismus ist ein Sammelbegriff für eine Lebensweise nach dem Prinzip nur das Nötigste zu besitzen und sich vom Kaufen um des Kaufen willens zu verabschieden. Wieder zu schätzen was man hat. So kurz, so einfach, so komplex.

 

 

Wie sieht das Leben eines Minimalisten aus?

 

 

Ein ganz normales Leben. Ich habe genügend Klamotten um mich gut und zu verschiedenen Anlässen anzuziehen. Sie sind  gut zueinander abgestimmt. Ich habe keine Lieblings-Jeans oder ein Lieblings-Shirt. Ich habe nur noch Lieblingsstücke in meinem Kleiderschrank. Einmal in der Woche muss ich Wäsche waschen. Wenn ein Kleidungsstück verbraucht ist, mir nicht mehr passt (Ich habe dieses Jahr erst 25 kg abgenommen) oder mir nicht mehr gefällt ersetze ich es. Was heißt ich lasse es nicht mehr wie früher so lange im Schrank und ziehe es einfach nicht mehr an. Was ich damit mache erkläre ich später. Wenn ich im Laden vor etwas stehe und der Jäger & Sammler zuckt, frage ich mich ganz bewusst, was bringt es mir? Und sind dieser Gegenstand es wert dafür hart erarbeitetes Geld auszugeben? Werde ich es benutzen und gibt es mir einen Mehrwert? Oft habe ich etwas Neues gekauft und hab dann das Alte aufgehoben. „Vielleich kann man es ja noch für etwas gebrauchen.“, diesen Satz habe ich aus meinem Wortschatz gestrichen. Wenn das Alte noch gut war, hätte ich das neue nicht kaufen müssen. Wenn es nicht mehr gut/funktional/schön war, dann ist es ersetzt und kann weg. Außerdem halte ich keine Redundanzen vor. Ich brauche keine 10 Glühbirnen oder 20 Hosen. Meistens geht nicht mehr als eine Glühbirne im Jahr kaputt (Ich kann mich nicht erinnern in den letzten drei Jahren seit ich in meinem Haus lebe jemals eine ausgetauscht zu haben), zumal in jedem Raum eine andere Lampe hängt mit einer anderen Anforderung, ich könnte, würde ich der Logik des redundanten Beleuchtungskonzepts folgen, also einen gesamten Keller mit Ersatzbirnen füllen. Da halte ich lieber keine vor und geht eine kaputt muss ich im schlimmsten Fall bis Sonntag einen Raum mit nicht perfekter Beleuchtung verschmerzen. Hosen trage ich zumeist nur eine gleichzeitig. Wenn eine Hose zerreißt, dann ist das ziemlich unangenehm. Aber ich bin mir sicher dass jeder immer eine Notfall-Redundanz-Hose dabei hat. Nicht? Hm und warum genau muss man dann 20 verschiedene Hosen besitzen? Mehr als 7 in der Woche trägt man sicher nicht. Dieser Vergleich geht analog mit jedem Kleidungsstück. Außer mit Hüten, Hüte kann man nie genug haben! Aber ich lebe deswegen nicht in einem kahlen Haus, mit weißen Wänden und ohne Möbel. Ich fotografiere aus Leidenschaft mit Analogen Kameras und unser ganzes Haus hängt voll schöner Bilder. Bilder schaue ich an sie machen mich glücklich, sie spenden mir Freude. Mehr nutzen haben Sie nicht. Sie kosten mich aber auch kein Geld oder nehmen Raum weg. Ich habe auch Möbel. Zum Beispiel eine Couch, auf der ich gerne bequem mit meiner Partnerin liege und Serien schaue (natürlich gestreamt und nicht von DVD). Nach einem anstrengenden Tag im Büro oder mit müden Beinen nach einem harten Lauf gibt es nichts Besseres um mal abschalten zu können. Aber es ist übersichtlicher geworden im Haus, der wöchentliche Hausputz dauert nur noch 60 Minuten und nicht mehr eine komplette Folge Radio Nukular. Das hat uns aber nicht davor geschützt mal wieder erst am Tag vor der Abreise in den Urlaub einen unserer Reisepässe nicht zu finden. Mit wenigen Dingen kann man durchaus Unordnung stiften, es ist nur um einiges komplizierter.

 

 

Wie wird man Minimalist_in?

 

 

Zunächst gibt es da einen ganz einfach Schritt um zu beginnen: Miste aus! Es gibt verschiedene Ansätze und Methoden wenn man sich schwer tut. Ich hab mir Raum für Raum vorgenommen und alles in zwei Kategorien eingeteilt: Behalten & Weg. Ja, ich hab jeden Gegenstand den ich besitze in die Hand genommen und eine dieser zwei Optionen gewählt. Je nach Größe gibt es in der Mitte des Raums dann nach einer gewissen Zeit zwei Stapel. Der, im besten Fall kaum vorhandene „Behalten“-Stapel wurde von mir natürlich noch ein bis zwei Mal skeptisch beäugt und das so manches Teil hat noch mal den Stapel gewechselt. Dann hab ich den Stapel wieder ins an seinen Platz geräumt. Besonders in der Küche war es toll, dass endlich alle Tassen ins Regal gepasst haben. Warum auch immer ein 4-Personen-Haushalt 18 verschiedene Tassen mit grausamen Motiven besitzen muss. Meine Lieblingstasse durfte bleiben. Aber ich steh auf meine Route66-Kitschtasse. Nun widmete ich mich dem anderen Stapel. Jetzt beginnt die Arbeit! Wenn man zu viel Geld hat und kein sozialer Mensch ist, dann kann man das jetzt alles wegwerfen. Ich habe weder zu viel Geld (Im Kapitalismus ist das nämlich ein Euphemismus) noch bin ich unsozial. Ich habe den „Weg“-Stapel in zwei Kisten und einen Tüte gepackt. Eine Kiste für Dinge die ich verkaufen möchte. Eine Kiste für Dinge die Spenden werde, einen Sack Müll. Der Müllsack war tatsächlich, außer bei meinem Kleiderschrank, immer der größte Anteil. Verkaufen/Spenden/Wegwerfen ist ein wunderbares Mantra. Es gab Dinge die mir besonders schwergefallen sind, wie zum Beispiel meine Tour-Shirts meiner Lieblingsband. Leider waren die aber allesamt zwei Nummern zu groß und ziemlich durchgetragen. Da ich wirklich nicht noch mal zwei Kleidergrößen zulegen möchte, musste ich mir immer wieder sagen, dass ich sie nicht mehr anziehen werde und sie mir nur meinen Kleiderschrank verstopfen. Jedes Mal wühle ich sie heraus wenn ich ein anderes T-Shirt suche. Aber man glaubt gar nicht wie hoch der wiederverkaufswert von Bandshirts ist. Ich glaube ich bin hier mit Gewinn herausgegangen. Geld das ich nun auf meinem PayPal Konto habe, welches nach und nach an die vielen Podcasts die ich jeden Tag höre gehen wird um diese Arbeit zu unterstützen. Man kann denn Schritt der Stapelbildung beliebig oft in verschiedenen Zeitabständen wiederholen. Nach und nach fällt es einem immer leichter sich von Dingen zu trennen, weil man spürt wie die Last weniger wird, der Schrank ordentlicher, die Räume hübscher. Im besten Fall bleibt das dann so. Die Frage nach dem Nutzen eines Gegenstands wird irgendwann zur Gewohnheit. Die Dinge die man noch besitzt erhöhen ihren Wert immens ohne dass man dafür etwas investieren musste. Alles ist ein bisschen schöner und genussvoller geworden.

 

 

Warum soll man so leben wollen?

 

 

Diese Frage muss man sich, ähnlich wie bei Veganismus, Rauchen oder Wahlentscheidungen, selbst beantworten. Ich muss niemanden missionieren, niemanden überzeugen. Mich hat es weiter gebracht, es hat mich glücklich gemacht, sorgenfreier gemacht. Und natürlich ist man gern ein einzigartiger Schmetterling, eine Schneeflocke und jemand er etwas sehr früh adaptiert hat. Ich rede gerne drüber und merke, dass ich damit Leute begeistern kann und inspiriere. Aber was hat mich daran fasziniert um es auch wirklich zu probieren? Die Kapitalismuskritik die dem Minimalismus inne wohnt hat mich berührt. Man kann darüber diskutieren ob Konsumverweigerung als Kapitalismuskritik durchgeht, wenn man gleichzeitig sein Gespartes anhäuft. Das Ziel ist dann wiederum die Frage. Auch hier haben Minimalist_innen verschiedene Ziele. Eins meiner minimalistischen Ziele ist es irgendwann nicht mehr so viel arbeiten zu müssen, weil ich eine gesunde Reserve habe und mein Einkommen leicht ausreicht. Viele haben wohl schon den schlauen Satz “Wer mit 20 Jahren kein Kommunist ist, hat kein Herz. Wer mit 30 Jahren noch Kommunist ist, hat keinen Verstand!” (der Winston Churchill zugesprochen wird, aber eigentlich von Benedetto Croce[1] stammt) gehört. Ich möchte Ihn für mich verändern, denn ich war mit 20 davon überzeugt, dass Kommunismus der Weg zum Weltenheil ist. Mit inzwischen 31 sehe ich das komplett anders. Wer Herz und Verstand hat ist mit 30 Minimalist! [Man darf mich so zitieren, bitte, danke!] Glück zu sein mit dem nötigsten, Konsum entmachten und sich trotzdem am Besitzen von Dingen erfreuen können, die man mit Bedacht und bewusst ausgewählt hat. Nicht mehr so zu Leben wie man Geld verdient, sondern so viel Geld zu verdienen, wie man zum Leben braucht. Pflichten und Verpflichtungen abbauen, keine Schulden machen. Frei sein. Die Überproduktion um jeden Preis wird der einzelne nicht aufhalten können. Aber ich kann in meinem Mikrokosmos entscheiden, dass ich rücksichtlose Streben nach mehr nicht mehr unterstütze, in dem ich auch nicht nach immer mehr strebe. Mehr Ordnung und mehr Zeit sind nicht zu vernachlässigende Punkte. Man kann es alles wahrscheinlich noch viel spiritueller oder noch viel pragmatischer angehen. Für mich ist Minimalismus ein Weg mit mir und meinem Umfeld besser im Gleichgewicht zu sein.

 

 

Als wir uns verabschiedeten, umarmten wir uns und meine Kollegin sagte „Ich muss jetzt nach Hause, und ausmisten.“ Sie lächelte über beide Ohren, alleine der Gedanke, dass mein Monolog [Hippe coole Leute nennen das TEDtalk und verlangen dafür viel Geld] in ihr etwas ausgelöst hat mach wiederum mich unfassbar glücklich. Ich habe einem lieben Menschen einen guten Gedanken geschenkt. Minimalismus macht aus Weniger tatsächlich Mehr.

 

 

Sicherlich gibt es noch mehr Fragen. Ich möchte gerne darauf eingehen! Schickt mir eure Fragen als Audiofile an schnaufcast@gmail.com und ich beantworte Sie im Podcast! Habt ihr Tipps? Immer her damit! Wir könnend davon lernen!

Und am wichtigsten ist, dass ihr mit anderen Leuten über die das sprecht, was euch fasziniert!

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Kommentare: 2
  • #1

    Philipp (Samstag, 21 Oktober 2017 09:06)

    Moin!
    Warum treten eigentlich immer und überall die gleichen Themen zur gleichen Zeit auf? Synchronizität oder lediglich der Blick, der auf die Dinge trifft, die einen gerade bewegen (so wie wenn man schwanger ist, also jetzt nicht ich, sondern meine Frau seinerzeit, und man überall nur Schwangerenbäuche sieht)?
    Oder doch der Einfluss der virtuellen Peergroup auf Twitter, Facebook und Co?
    Egal.
    Nach unserem Umzug hat mich das Thema ebenfalls gepackt und ich kann jetzt ein komplettes Regal aus unserem Wohnzimmer verbannen. Vorher haben die Bücher, Vasen usw. teilweise zweireihig gestanden.
    Und der Weg geht noch weiter.
    Ich bin gespannt auf deinen minimalistischen Reisebericht und werde sicherlich auch auf meinem Blog hier und da dazu mal schreiben.
    Auf jeden Fall ein spannendes Thema :-)

  • #2

    Flo (Dienstag, 07 November 2017 15:31)

    Ich glaube, dass das Thema gerade einfach sehr präsent ist, weil immer mehr Menschen die Probleme hinter ausschweifendem Konsum erkennen. Ich denke dass die Doku von The Minimalists auf Netflix dem Thema besonders viel Aufmerksamkeit schenken. Dass nur konsumieren und nicht kreativ sein für mich alles gut zusammenfasst. Die Reise dauert jetzt ungefähr drei Monate und ich bin merklich bewusster und glücklicher geworden.