Spiegel(Feind)Bild

Seit dem ersten Blogbeitrag haben mich viele, viele liebe Botschaften erreicht. Viel Mut und viel Zuspruch, über viele Kanäle. Von kurzen Stubsern, dass man mir alles Gute wünsche, bis hin zu unheimlich persönlichen Geschichten und Schicksalen um mir Mut zu schenken. Ich möchte jedem danken. Alles aufzuschreiben hat mir geholfen und mir ein wenig den Kopf frei gemacht. Ich möchte weiterschreiben. Mir ist bewusst, dass ich damit ein wenig Privatsphäre aufgebe. Ich bitte dies zu respektieren und zynische, bissige oder bösartige Kommentare zu unterlassen. Beim letzten Eintrag meinte eine Dame, die auch zu feige war nicht anonym zu posten, sie müsse hier Dinge thematisieren, die wenig mit meiner Krankheit und nichts mit dem Sport zu tun haben. Daher sind die Kommentare leider ab jetzt moderiert und es dauert immer einige Zeit bis sie öffentlich sichtbar sind. Ich schreibe hier für mich und für die Hoffnung, um mir das Positive selbst aufzuzeigen und den Fokus auf das Wesentliche nicht zu verlieren. Sollte sich jemand von meinem Gejammer gestört fühlen bitte ich diese Rubrik zu ignorieren und sich einfach auf den Podcast zu konzentrieren, der ist garantiert Myasthenie frei.

 

Ich versuche die Krankheit momentan einfach zu akzeptieren. Bin mir der Konsequenzen und Tendenzen, hoffentlich, bewusst und möchte der Myasthenie nicht mehr Raum in meinem Leben einräumen als notwendig. Gestern und heute waren zwei unheimlich gute Tage. Ich hatte keine, oder zumindest fast keine, Doppelbilder und mein Augenlid hing kaum herab. Das tut es nämlich seit Neustem ziemlich gerne oder mir und meinem Umfeld fällt es jetzt erst auf, weil mich jetzt viele wie ein rohes Ei behandeln und man selbst ja auch viel mehr auf sich achtet. Man fühlt tief in sich hinein und achtet auf Kleinigkeiten, man ist fast schon hysterisch. Beim Laufen bin ich immer am rätseln ob jetzt nach 12 Kilometern meine Beine müde werden oder das diese dumme Muskelschwäche ist. Wenn morgens im Set nur 10 satt 15 Liegestützen gehen befällt mich kurz Panik. Es ist omnipräsent. Es steht mir quasi ins Gesicht geschrieben.

 Mein Äußeres ist ein schwieriges Thema für mich. Ich war als Kind übergewichtig, um nicht zu sagen fett, und Kinder sind erbarmungslos und grausam. Ich war immer der dicke Junge. Bis ich mit dem Laufen angefangen habe war ich das, also bis in meine Zwanziger hinein. Seit ich es nicht mehr bin ist es für mich ein Stigmata dem ich nie mehr zum Opfer fallen möchte.

 

Nun saß ich diese Woche bei der Friseurin meines Vertrauens und ließ das Unkraut auf dem Kopf wieder in eine vernünftige Form bringen. So saß ich da und während sie an meinem Schopf herumschnitt musste ich mein Spiegelbild für 20 Minuten ertragen. Anders kann ich es nicht ausdrücken. Wenn ich nicht darauf achte fällt mein Augenlid des linken Auges langsam zu. Ich kann nichts dagegen tun. Es ist wie einschlafen vor dem Fernseher, nur dass man eben nicht schläft. Schrecklich das mitanzusehen. Seelische Folter.


An sich ja nicht schlimm, wenn man Karl Dall mag. Mich macht der Anblick wahnsinnig. Es führt mir vor Augen, dass da etwas nicht passt mit mir. Und du sitzt auf diesem Stuhl unter dem Kittel und schwitzt. Alles was ich machen konnte war mir ins Gesicht schauen. Dann habe ich angefangen zu versuchen das Augenlied zu öffnen, aber wenn die Muskeln halt gerade nicht wollen, dann machen sie auch nichts. Ich ziehe die Augenbraue hoch, lege die Stirn in Falten. Es sieht aus als hätte ich gerade einen Schlaganfall. Meine Friseurin fragt mich besorgt ob mir der Haarschnitt nicht gefalle. Es fällt auf. Ein innerer Kampf gegen mich selbst und da ist wieder einer der Momente wo ich mir die Decke über den Kopf ziehen möchte. An diesem Tag ging ich durch die Stadt und gefühlt hat mir jeder auf mein Auge geschaut. In meinem Hirn dreht sich das Karussell, ich frage was die Leute wohl denken, wenn sie mein Gesicht sehen. Ich will kein Freak sein. Ich will nicht auffallen, zumindest nicht negativ. Ich fühle mich total unwohl. Zum Glück ist es gerade Sommer, denn meine schwarze Sonnenbrille ist gerade mein treuer Begleiter. Man kann sich so schön dahinter verstecken und ich sehe gesund und munter aus und kann das Auge einfach zufallen lassen.

 

Mir ist natürlich bewusst, dass es kaum jemandem auffällt und viele Bekannte sagen, dass meine Augen schon immer nicht gleich groß waren. Ich erinnere mich an eine Exfreundin, die mich im Streit immer angeschrien hat, weil sie der Meinung war ich schaue an ihr vorbei. Keiner hält mich für einen Freak außer mir selbst. Doch bin ich selbst mein größter Kritiker und eines sei gesagt, ich kann verdammt schlecht mit Kritik umgehen. Es werden noch so viele Stolpersteine kommen im Alltag, doch dieser ist der erste. Ich bin eitel, das weiß ich. Ich kann es nicht ändern, das weiß ich auch.

 

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Kommentare: 3
  • #1

    Ansgar (Freitag, 19 August 2016 18:04)

    Das ist das größte Problem, die Selbstkritik und die Selbstwahrnehmung. Kenn ich, wenn auch nicht Deiner Form, die ich schon etwas schlimmer finde als zB der letzte Rest Fettgewebe am Bauch, der nicht weg gehen will. In Deinem Fall ist es halt anders, da Du nichts dagegen machen kannst. Stelle ich mir auch schwierig vor, gerade wenn man eitel ist. Ich weiß auch nicht wie ich da mit umgehen würde, vermutlich ist es ein Lern oder Gewöhnungsprozess den jetzt durchlaufen wirst und dabei wünsche ich Dir alles Gute und Erfolg!

  • #2

    Rene@fatboysrun.de (Montag, 22 August 2016 08:25)

    Kacke.
    Wie sieht es denn aus mit Ringe werfen und Flatterbänder wedeln?
    Team FatBoysGymnastics muss 2020 an den Start gehen.

  • #3

    Beate (Montag, 22 August 2016 13:00)

    Hey.. dich selbst nieder zu machen, hilft dir am allerwenigsten - das kann ich leider aus Erfahrung sagen.
    Es ist ein Prozess, den du jetzt leider durchgehen musst, um dich. Irgendwann mit deiner Krankheit anzufreunden bzw diese zu akzeptieren, wie sie ist.
    Das dauert einige Zeit, ich hab mit der MS 3 Jahre gebraucht und bin manchmal noch nicht fertig, weil das Leben ohnehin ein ständiger Veränderungsprozess ist.

    Ich drucke dir die Daumen, damit du für dich Lösungen findest, die Krankheit annehmen zu können.

    Tue das, was dir gut tut und davon bitte möglichst viel